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Benjamin Kuhlhoff·3. Juli 2018

Warum diese WM Japan noch vermissen wird

Artikelbild:Warum diese WM Japan noch vermissen wird

2:0 geführt, 2:3 verloren, ausgeknockt in der letzten Spielminute. Japans Mannschaft hatten allen Grund frustriert zu sein. Doch dann überraschten sie die Fußballwelt.

Was war denn das?


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Es lief die 94. Spielminute im Spiel zwischen Belgien und Japan, als die Asiaten bei der letzten Ecke noch mal alles nach vorne warfen. 2:0 hatte der Außenseiter geführt, sich aber schnell das 2:2 gefangen. Jetzt setzten sie mit der kompletten Mannschaft zum Dim Mak an – dem Todesstoß. Der Eckball segelte rein. Und dann das.

Plötzlich ging alles ganz schnell. Zu schnell. Und auch zu schön. Belgiens Keeper Courtois fing die Ecke ab, schickte gedankenschnell Mittelfeldgenius Kevin De Brunye auf die Reise, der plötzlich 60 Meter grüne Wiese vor sich sah. Kein Gegenspieler. De Brunye beschleunigte, Belgiens Sturmtank Romelu Lukaku macht den Raum auf der Außenbahn frei, Pass, Pass, Lukaku ließ durch. Ach, man könnte ein ganzes Buch über die Schönheit dieses Konters schreiben – und doch gab es etwas, das noch viel besser war als dieses Tor-Kunstwerk. Und das war Japans Reaktion.

Jedem Sportler spritzt der Frust nach einer Niederlage aus den Poren. Gerade dann, wenn sie so schmerzhaft und unglaublich war wie gestern Abend. Japan hatte den haushohen Favoriten aus Belgien am Rande einer Niederlage. Es wäre die Sensation des Achtelfinales gewesen. Die Euphorie trieb die Spieler zu einer letzten, blinden Aktion, die den Knockout zur Folge hatte. Sie sanken allesamt zu Boden, als wären sie zu einer gallertartigen Masse mutiert. Das Aus saugte ihnen die Energie aus dem Körper.

Wahre Größe zeigt sich erst in der Niederlage

Nun ist es leicht, als strahlender Sieger aus dem Stadion zu stolzieren. Selfie hier, High Five da. Doch im Fall der Niederlage zeigt sich die wahre Größe einer Mannschaft. Oder auch tiefe Abgründe.

Die deutsche Mannschaft zog etwa nach dem peinlichen Vorrunden-Aus den medialen Schutzwall und die Sonnenbrillen an und verließ blitzartig das Land. Argentinien verabschiedete sich mit ein paar unschönen Tretereien und Fouls auf dem Rasen. Und wir erinnern uns alle an den FC Bayern, der nach dem verlorenen Pokalfinale in der Kabine verschwand, statt dem Sieger Eintracht Frankfurt bei der Siegerehrung Respekt zu erweisen.

So wäre es nur verständlich, wenn Japans Mannschaft und seine Fans für mehr als einen Moment die Souveränität verloren hätte. Tat sie aber nicht.

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Stattdessen räumten die japanischen Fans einfach das Stadion auf. Kein Scherz. Sie sammelten ihren Dreck in mitgebrachten Müllbeuteln auf. Kaum vorstellbar, dass die ohnehin nur spärlich angereisten Deutschland-Fans im Moment maximaler Frustration ihren Putzfimmel entdecken würden. Hierzulande tritt man lieber was kaputt oder beschimpft die Sündenböcke auf dem Rasen.

Vor der Aktion der japanischen Fans kann man also gar nicht genug Respekt haben. Doch dann gingen die Bilder von Japans Mannschaft um die Welt – und man war gleich noch mal blitzverliebt.

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Denn Japans Spieler taten es ihren Fans gleich: Sie räumten die Kabine auf, feudelten die Ecken feucht durch und hinterließen ein Schild auf dem nur ein Wort stand: „DANKE!“

So verliert die WM eine Einheit aus Mannschaft und Fans, die etwas mitbrachte, das in dieser Welt immer mehr verloren zu gehen scheint: Respekt für Gegner und Gastgeber.

Und Demut vor den Privilegien, die wir im täglichen Leben genießen dürfen und allzu oft für selbstverständlich hinnehmen. Diese menschliche Größe wird auf und neben dem Rasen immer seltener zu einer Maßeinheit. Es geht zu oft nur noch darum, wer gewinnt, wer am weitesten die Klappe aufreißt oder über wen man sich lustig machen kann. Dabei sind es kleine Dinge wie diese, welche die Fußballwelt zu einer besseren machen können.

Ein Stück Demut und Respekt fahren jetzt also nach Hause. Eliminiert vom vielleicht perfektesten Tor der WM.

Es ist zu schön, um wahr zu sein.

Und zu traurig, um sich darüber zu freuen.